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Frakturen der BWS, LWS und des thorakolumbalen Übergangs

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Die meisten Verletzungen der Wirbelsäule treten im Bereich des thorakolumbalen Übergangs, dem Bereich zwischen unterer Brustwirbelsäule und oberer Lendenwirbelsäule auf, wobei mehr als die Hälfte aller Wirbelfrakturen den 12. Brustwirbel und 1. Lendenwirbel betreffen. Die Häufigkeit der Wirbelfrakturen in diesem Bereich ergibt sich aus den besonderen biomechanischen Faktoren, die durch den Übergang der physiologischen Krümmungen der Wirbelsäule (Lendenlordose, Brustkyphose) in diesem Areal entstehen.
Wirbelsäule seitlich und von hinten Brustwirbelsäule seitlich
Lendenwirbelsäule seitlich

Wie werden die Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule eingeteilt?

Böhler führte 1929 erstmals eine Klassifizierung der Wirbelfrakturen ein, die 5 Subtypen unterschieden hat. In der Folgezeit wurden unterschiedliche Einteilungen der Wirbelfrakturen vorgenommen, die Bezug auf den Frakturtyp oder den Frakturmechanismus nahmen (zum Beispiel Klassifikationen nach Denis oder Ferguson und Allen). Bei allen Verletzungen der Wirbelsäule können die knöchernen und Bandstrukturen des vorderen und hinteren Bereichs des Wirbelsegments sowie die Bandscheibe beteiligt sein.

Bewegungssegment seitlich, Bandapparat Bandapparat Brustwirbelsäule

1994 hat F. P. Magerl eine Klassifikation zur Beurteilung von Verletzungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule eingeführt, die bis heute üblicherweise zur Beurteilung herangezogen wird.

Diese Klassifikation berücksichtigt die Kräfte, die bei einer Verletzung auf die Wirbelsäule einwirken (Kompressions-, Distraktions- und Translations/Rotationskräfte) und die typischen Verletzungsmuster, die an den Wirbeln, Bandscheiben und dem Bandapparat durch den Verletzungsmechanismus verursacht werden.

Man unterscheidet:

  • Typ A Verletzungen, die durch Kompressionskräfte verursacht werden,
  • Typ B Verletzungen entstehen bei einwirkenden Distraktionskräften,
  • Typ C Verletzungen treten bei Rotationskräften auf.

Die drei Verletzungstypen A, B und C sind jeweils in drei Gruppen mit je drei zusätzlichen Untergruppen aufgeteilt.

Typ-A-Verletzungen: Wirbelkörperkompression (Kompressionsverletzung)

Typ A stellt Verletzungen dar, die durch axiale Kräfte verursacht werden und den Wirbelkörper bei intakten dorsalen Bandstrukturen betreffen:

Typ A Verletzung

A1: Impressionsbrüche (Impaktionsbrüche), bei denen es zu Deckplatteneinbrüchen ohne Beteiligung der Wirbelhinterkante kommt. Man unterscheidet:
A1.1: Deckplattenimpression

Deckplattenimpression

A1.2: Keilbruch
A1.2.1: kranialer Keilbruch

kranialer Keilbruch

A1.2.2: seitlicher Keilbruch
A1.3: Wirbelkörperimpaktion

Wirbelkörperimpaktion

A2: Spaltbrüche, die sich durch eine Spaltbildung in der Sagittal- oder Frontalebene auszeichnen, der Verschiebungsgrad der einzelnen Fragmente ist unterschiedlich stark ausgeprägt.

A2.1: sagittaler Spaltbruch
A2.2: frontaler Spaltbruch

frontaler Spaltbruch

A2.3: Kneifzangenfraktur

Kneifzangenfraktur

A3: Berstungsbrüche zeigen häufig eine Zertrümmerung des Wirbelkörpers mit Beteiligung der Wirbelhinterkante bei intaktem dorsalem Bandapparat. Die A3 Frakturen sind oft instabil und zeigen durch die Verlagerung der hinten liegenden Frakturfragmente mit Anteilen der Bandscheibe in den Rückenmarkkanal neurologische Symptome durch die Kompression des Rückenmarks.

A3.1:    inkompletter Berstungsbruch
A3.1.1: kranialer inkompletter Berstungsbruch

kranialer inkompletter Berstungsbruch

A3.1.2: seitlicher inkompletter Berstungsbruch
A3.1.3: kaudaler inkompletter Berstungsbruch

A3.2:    Berstungsspaltbruch
A3.2.1: kranialer Berstungsspaltbruch

kranialer Berstungsspaltungsbruch, von vorn kranialer Berstungsspaltungsbruch, von hinten kranialer Berstungsspaltungsbruch, seitlich

A3.2.2: seitlicher Berstungsspaltbruch
A3.2.3: kaudaler Berstungsspaltbruch

A3.3:    kompletter Berstungsbruch
A3.3.1: Kneifzangenberstungsbruch
A3.3.2: kompletter Flexionsberstungsbruch
A3.3.3: kompletter axialer Berstungsbruch

kompletter axialer Berstungsbruch, von hinten kompletter axialer Berstungsbruch, seitlich

Typ-B-Verletzungen: Verletzungen der vorderen und hinteren Wirbelelemente mit Distraktion (Distraktionsverletzungen)

Bei der Typ B Verletzung kommt es durch die Distraktion zur Zerreißung der vorderen und/ oder hinteren Elemente des Bewegungssegments.

Typ B Verletzung

B1:       dorsale Zerreißung durch die Intervertebralgelenke (Flexion–Distraktion)
B1.1:    mit Zerreißung der Bandscheibe
B1.1.1: Flexionssubluxation

Flexionssubluxation

B1.1.2: vordere Luxation

vordere Luxation

B1.1.3: Flexionssubluxation oder vordere Luxation mit Fraktur der Gelenkfortsätze

Flexionssubluxation oder vordere Luxation mit Fraktur der Gelenkfortsätze

B1.2: mit Fraktur des Wirbelkörpers vom Typ A Flexionssubluxation Typ B1.2.1 mit kranialem  Keilbruch vom Typ A1.2.1

Kombinationsverletzung aus Flexionssubluxation Typ B1.2.1 und kranialem Keilbruch Typ A1.2.1

Flexionssubluxation Typ B1.2.1 mit Kneifzangenfraktur vom Typ A2.3

Flexionssubluxation Typ B1.2.1. mit Kneifzangenfraktur Typ A2.3

Flexionssubluxation Typ B1.2.1 mit kranialem inkompletten Berstungsbruch Typ A3.1.1

B1.2.2: vordere Luxation mit kranialem Keilbruch vom Typ A1.2.1

Typ B1.2.2. vordere Luxation mit kranialem Keilbruch Typ A1.2.1.

B1.2.3: Flexionssubluxation mit Fraktur der Gelenkfortsätze und Wirbelkörperfraktur

Flexionssubluxation mit Fraktur der Gelenkfortsätze und Wirbelkörperfraktur

B2:    dorsale Zerreißung durch den Wirbelbogen (Flexion–Distraktion)
B2.1: horizontale Zerreißung des Wirbels

horizontale Zerreißung des Wirbels

B2.2: Flexionsspondylolyse mit Zerreißung der Bandscheibe

Flexionsspondylolyse mit Zerreißung der Bandscheibe

B2.3: Flexionsspondylolyse mit Wirbelkörperfraktur

Flexionsspondylolyse mit Wirbelkörperfraktur

B3: ventrale Zerreißung durch die Bandscheibe (Hyperextensionsscherverletzung)

B3.1:    Hyperextensionssubluxation
B3.1.1: ohne Gelenkfortsatzfraktur

ventrale Zerreißung durch die Bandscheibe ohne Gelenkfortsatzfraktur

B3.1.2: mit Gelenkfortsatzfraktur oder Fraktur der Bogenwurzeln

B3.2: Hyperextensionsspondylolyse

Hyperextensionsspondylolyse

B3.3: hintere Luxation (eine der schwersten Verletzungen der Wirbelsäule, die oft mit einer kompletten Querschnittlähmung verbunden ist.)

hintere Luxation

Typ-C-Verletzungen: Verletzungen der vorderen und hinteren Wirbelelemente mit Rotation (Rotations- oder Torsionsverletzung)

Typ C Verletzungen sind entweder Typ A Verletzungen in Kombination mit zusätzlicher Rotation oder Typ B Verletzungen in Kombination mit Rotation und Scherfrakturen. Sie sind meistens instabil und zeigen eine hohe Rate an neurologischen Komplikationen.

Typ C Verletzung


C1:    Typ A mit Rotation
C1.1: Rotationskeilbruch

Rotationskeilbruch, von vorn Rotationskeilbruch seitlich Rotationskeilbruch, von hinten

C1.2:    Rotationsspaltbruch
C1.2.1: sagittaler Rotationsspaltbruch
C1.2.2: frontaler Rotationsspaltbruch
C1.2.3: Rotationskneifzangenfraktur
C1.2.4: Wirbelkörperseparation

Wirbelkörperseparation, von vorn Wirbelkörperseparation seitlich Wirbelkörperseparation, Aufsicht

C1.3:    Rotationsberstungsbruch
C1.3.1: inkompletter Rotationsberstungsbruch
C1.3.2: Rotationsberstungsspaltbruch
C1.3.3: kompletter Rotationsberstungsbruch

kompletter Rotationsberstungsbruch, von vorn kompletter Rotationsberstungsbruch, von hinten kompletter Rotationsberstungsbruch seitlich

C2:       Typ B mit Rotation
C2.1:    Typ B1 mit Rotation
C2.1.1: Rotationsflexionssubluxation

Rotationsflexionssubluxation, von vorn Rotationsflexionssubluxation seitlich

C2.1.2: Rotationsflexionssubluxation mit Gelenkfortsatzfraktur

C2.1.3: einseitige Luxation

einseitige Luxation, von hinten einseitige Luxation seitlich

C2.1.4: vordere Rotationsluxation ohne/mit Gelenkfortsatzfraktur
C2.1.5: Rotationsflexionssubluxation ohne/mit Gelenkfortsatzfraktur mit Wirbelkörperbruch
C2.1.6: einseitige Luxation mit Wirbelkörperbruch
C2.1.7: vordere Rotationsluxation ohne/mit Gelenkfortsatzfraktur mit Wirbelkörperbruch

C2.2:    Typ B2 mit Rotation
C2.2.1: horizontale Zerreißung des Wirbelkörpers mit Rotation

horizontale Zerreißung des Wirbelkörper mit Rotation, seitlich gesehen horizontale Zerreißung des Wirbelkörper mit Rotation, von hinten

C2.2.2: Rotationsflexionsspondylolyse mit Zerreißung der Bandscheibe
C2.2.3: Rotationsflexionsspondylolyse mit Wirbelkörperfraktur

C2.3:    Typ B3 mit Rotation
C2.3.1: einseitige Hyperextensionssubluxation ohne/mit Gelenkfortsatz- oder Bogenwurzelfraktur
C2.3.2: einseitige Hyperextensionsspondylolyse
C2.3.3: hintere Rotationsluxation

C3:    Rotationsscherbrüche
C3.1: Slicefraktur (Holdsworth)
C3.2: Rotationsschrägbruch

Rotationsschrägbruch

Welche Symptome kann es bei Brüchen der Brust- und Lendenwirbelsäule geben?

Die Instabilität der Wirbelsäulenverletzungen und damit die Gefahr von neurologischen Komplikationen nehmen vom Typ A nach Typ C zu. In Abhängigkeit vom vorliegenden Frakturtyp können folgende Symptome vorliegen:
  • Schmerzen (lokal, bewegungsabhängig, ausstrahlend)
  • Medulläre Symptome mit inkomplettem oder komplettem Querschnitt
  • Radikuläre Symptomatik
  • Spinaler Schock
  • Spezifische Symptome der zusätzlichen Begleitverletzungen

Wie wird die Diagnose gestellt?

Bei Verdacht auf eine Wirbelfraktur setzt das Management des Unfallverletzten ein sehr behutsames Vorgehen voraus. Die Untersuchung, Lagerung und Transport müssen so sicher und schonend erfolgen, dass durch die Manipulationen keine Verschlechterung des Ausgangszustands provoziert wird.

Die klinische und neurologische Untersuchung ergibt Hinweise auf:

  • Die Höhenlokalisation der Verletzung (Kennmuskeln, Reflexstatus, Sensomotorischer Status)
  • Medulläre oder radikuläre Symptomatik
  • Eventuell vorliegende Begleitverletzungen

Die radiologische Diagnostik erfolgt über konventionelle Röntgenaufnahmen der Brust- oder Lendenwirbelsäule in 2 Ebenen, wobei durch die bestehenden Schmerzen des Unfallverletzten oft nur eine ungenügend exakte Einstellung der Bildebenen erfolgen kann, wodurch die Aussagekraft der Röntgenbilder deutlich vermindert wird.
Die Computertomographie mit Rekonstruktionsaufnahmen ermöglicht eine exakte Darstellung der zerstörten Wirbelanteile, mit der Magnetresonanztomographie können die bestehenden Verletzungen des Rückenmarks, der Spinalnerven und des Bandapparats gut dargestellt werden.

Wie werden Brust- und Lendenwirbelbrüche behandelt?

Ziele der operativen Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen:
  • Bei einem inkompletten oder kompletten Querschnittsyndrom muss eine rasche Dekompression des gequetschten Rückenmarks und der Spinalnerven erfolgen, um die vorhandene neurologische Symptomatik zu verbessern oder keine weitere Verschlechterung zu provozieren.
  • Die Stabilität der Wirbelsäule muss wiederhergestellt werden.
  • Die achsengerechte Stellung der Wirbelsäule, inbesonders das sagittale Profil mit den physiologischen Wirbelsäulenkrümmungen (Lordose/Kyphose), muss rekonstruiert werden.
  • Eine erforderliche Fusionsstrecke (Segmente der Versteifung) muss so gewählt werden, dass die Stabilität der Versorgung sicher gewährleistet ist, aber so wenige Bewegungssegmente wie möglich versteift werden.
  • Frühe Mobilisation und Rehabilitation, um eine rasche Reintegration des Verletzten in sein gewohntes privates und berufliches Umfeld zu garantieren.

Stabile Frakturen der Brust- oder Lendenwirbelsäule ohne neurologische Komplikationen, wie zum Beispiel Impaktionsbrüche des Typs A1 werden konservativ behandelt. Instabile Brüche, wie zum Beispiel Berstungsfrakturen des Typ A3, Flexions - Distraktionsverletzungen des Typ B oder Rotationsverletzungen des Typ C werden operativ versorgt. In Abhängigkeit von der Lokalisationshöhe und vom Ausmaß der Schädigung von Rückenmark und Spinalnerven gibt es verschiedene Operationsverfahren zur Stabilisierung der Brust- und Lendenwirbelfrakturen, die über einen dorsalen (von hinten), ventralen (von vorn) oder einen kombinierten dorso-ventralen Operationszugang durchgeführt werden.

Folgende Operationsverfahren werden bei der operativen Versorgung von Brust- und Lendenwirbelbrüchen häufig eingesetzt:
  • Ventrale Dekompression und ventral instrumentierte Spondylodese
  • Ventrale Dekompression, ventrale Abstützung mit dorsaler Kompressionsspondylodese
  • Dorsale Dekompression, dorsale Stabilisation, ventrale Abstützung und dorsale Kompressionsspondylodese